Was ist eigentlich durch Notwehr gerechtfertigt?

So gut wie jeder in Deutschland kennt das Recht der Notwehr. Dagegen wissen viele leider nicht was für ein umfassendes und weitreichendes Recht die Notwehr ist. Sie beschränkt sich keinesfalls darauf, dass man sich bei einem gewalttätigen Angriff wehren darf. Wussten Sie zum Beispiel, dass Sie sich unter bestimmten Umständen gegen Beleidigungen körperlich zur Wehr setzen dürfen?

Die Notwehr im Allgemeinen

Grundsätzlich beinhaltet das Notwehrrecht, dass sich jeder gegen einen rechtswidrigen, gegenwärtigen Angriff wehren darf. Ein Angriff ist dabei jede Bedrohung oder Verletzung eines rechtlich geschützten Interesses (wie etwa das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit, die Ehre oder das Eigentum) . Darunter fallen beispielsweise auch die durch das Grundgesetze geschützten Freiheiten. Natürlich muss die Verteidigungshandlung auch in einem angemessenen Rahmen stattfinden. Eine Überschreitung wäre es beispielsweise, wenn man eine Schusswaffe gegen eine Beleidigung einsetzen würde.

Notwehr gegen Beleidigungen, Anrauchen und Diebstahl

Eine Beleidigung stellt hierbei einen Angriff auf die persönliche Ehre dar. Problematisch ist jedoch, dass für die Notwehr auch die Gegenwärtigkeit dieses Angriffs erforderlich ist. Ist eine einzelne Beleidigung einmal ausgesprochen, ist der Angriff bereits abgeschlossen und somit nicht mehr gegenwärtig. Hierbei wäre es nicht mehr durch Notwehr gerechtfertigt, sich gegen diese Beleidigung zu wehren. Ist es jedoch ein Schwall von Beleidigungen und hört dieser innerhalb von einer oder zwei Minuten nicht auf, darf man sich gegen diese Beleidigungen wehren; und das notfalls auch mit Gewalt. Natürlich ist darauf zu achten, dass eine Gewaltanwendung angemessen sein muss und beendet werden muss, sobald der Angreifer mit den Beleidigungen aufhört.

Vor kurzem hat außerdem das AG Erfurt geurteilt, dass auch eine Notwehr gegen das Anpusten mit Zigarettenrauch möglich ist (AG Erfurt Urteil vom 18.09.2013). Im vorliegenden Fall hatte der Geschädigte die Angeklagte in einer Diskothek mehrfach absichtlich mit Zigarettenrauch angepustet. Nachdem die Angeklagte sich nicht anders helfen konnte und auch der Sicherheitsdienst sich nicht um dieses Problem kümmerte, nahm sie ein Glas und warf es gegen den Kopf des körperlich weit überlegenen Geschädigten. Das Amtsgericht Erfurt entschied, dass in dem Anrauchen sowohl eine gefährliche Körperverletzung nach §§223 I, 224 I Nr. 1 StGB, wie auch eine Ehrverletzung zu sehen sei. Der Wurf mit dem Glas sei damit aus Notwehr gerechtfertigt.

Auch gegen einen Taschendieb ist die Notwehr möglich. Wird Ihnen beispielsweise in einem Bahnhof die Handtasche aus der Hand gerissen ist es gerechtfertigt, wenn Sie dem Dieb hinterrennen und sich die Tasche auch unter Anwendung von Gewalt zurückholen. Nicht zulässig ist dagegen, den Dieb erst Tage später zu stellen und sich die Handtasche zurückzuholen. Falls Sie sich gegen den Dieb zur Wehr setzen, sollte es in einem engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Diebstahl geschehen. Ist der Dieb einmal entkommen, können Sie sich nicht mehr auf die Notwehr berufen.
Dies alles gilt allerdings nicht nur, wenn Sie angegriffen werden, sondern auch, wenn einer Ihrer Mitmenschen angegriffen wird.
Falls Sie eine derartige Situation in der Öffentlichkeit mitbekommen, sind Sie genauso wie das Opfer dazu berechtigt, die Rechte des Opfers zu verteidigen.

Die Notwehr als umfassender Rechtfertigungsgrund

Das allseits bekannte Notwehrrecht gilt also nicht nur bei Gewalthandlungen, sondern genauso bei anderen Angriffen gegen persönliche Rechte. Dies ist aber keine Form der Selbstjustiz, sondern hierdurch bekommt nur jeder Einzelne die Möglichkeit, sich selbst und unsere Rechtsordnung zu verteidigen.

  27. Oktober 2014
  Kategorie: Strafrecht